Wer profitiert hier eigentlich?
Unter diesem Motto wird zum fünfzehnten Mal von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis zur Wir-haben-es-satt-Demo am 18. Januar 2025 in Berlin aufgerufen. Auch wir Freien Bäckerinnen und Bäcker sind dabei und erklären warum:
Konzentration heißt Verdrängung
Die Zahl der Betriebe des Lebensmittelhandwerks ist, ebenso wie die Anzahl bäuerlicher Betriebe, seit Jahrzehnten rückläufig. In den 1950er Jahren gab es in Deutschland eine flächendeckende regionale Versorgung mit Brot und Backwaren - sicher gestellt durch 55.000 Bäckereien in den Dörfern und in der städtischen Nachbarschaft. Diese handwerklichen Familienbetriebe wurden von 19.000 Mühlen mit Mehl aus Getreide von Höfen ihrer umliegenden Region versorgt.
Rund 70 Jahre später, im Wirtschaftsjahr 2023/24, versorgen bundesweit es noch 174 Mühlen die Bäckereien mit Mehl.[i] Wobei ein Marktanteil von 75% bei den 28 größten Mühlen liegt, deren Mahlkapazität jeweils über 100.000 t (einzeln auch 500.000 t) pro Jahr beträgt und deren Inhaberschaft wiederum hoch konzentriert ist. Die Anzahl der Bäckereien ist inzwischen auf unter 9.000 Betriebe gesunken. Auch hier verzeichnet die kleinste Gruppe, die Gruppe der umsatzstärksten Unternehmen (6,5% der Betriebe lag 2023 bei mehr als 5 Mio. Euro Umsatz), einen Marktanteil von mehr als 70%.[ii]
Der mit Abstand größte Betreiber von nach außen selbstständig auftretenden Bäckerei-Filialbetrieben, ist Deutschlands größter Lebensmitteleinzelhändler - die Edeka Gruppe. Doch nicht nur zahlreiche in die Handwerksrolle eingetragene Bäckereibetriebe, sondern beispielsweise auch die Industriebäckerei Panem Backstuben GmbH in Thüringen gehört zur Edeka Gruppe.
Stark konzentrierte Strukturen sind in allen Bereichen der Land- und Lebensmittelwirtschaft bestimmend. Immer größer werdende Unternehmen, national und international verflochtene Konzerne sind so in der Lage, Forschung, Gesellschaft und Politik in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Das Unbehagen und Gefühl vieler Menschen, das System in dem sie leben sei ungerecht, findet hier seine wesentliche Begründung. Wenn von „System“ gesprochen wird, geht es grundlegend um das vorherrschende wirtschaftliche und gesellschaftliche System - das des permanenten Wachstums.
Unbegrenztes Wachstum zerstört Demokratie
Demokratie
„Wir teilen die Macht des Staates in verschiedene Bereiche auf, Legislative, Exekutive und Judikative, und zwar aus dem einfachen Grund, weil die Repräsentanten Menschen sind. Menschen sind fehlbar, sie neigen zur Unvernunft und zum Interessenkonflikt. Die Gewaltenteilung ist der Versuch, es den menschlichen Repräsentanten zu erleichtern, die Konflikte zwischen Amt und persönlichen Interessen zu überwinden. Es ist der Versuch, den Repräsentanten Vernunft zu ermöglichen.“ [iii]
„Dieser Versuch muss allerdings scheitern, wenn neben der politischen Sphäre eine wirtschaftliche Sphäre existiert, welche diese Form der Machtbegrenzung nicht kennt und systematisch in die politische Sphäre interveniert, direkt durch Lobbyismus, aber auch indirekt durch die latente Drohung mit Arbeitsplatzverlust oder die Aussicht einer hohen Wettbewerbsfähigkeit als ≫Exportweltmeister≪. Wir versuchen derzeit, eine politische Demokratie mit einem wirtschaftlichen Feudalsystem zu kombinieren. Welches System dabei die Oberhand gewinnt, ist offensichtlich. Die Begründung ist letztlich einfach: Macht macht unsozial. Sie verzerrt die Wahrnehmung zugunsten der eigenen Position und führt zu einem Verlust an Empathie (Robert Trivers).“ (ebenfalls Endnote iii)
Aus unbegrenztem Wachstum wird unbegrenzte Macht. Macht von sehr weniger, zu Lasten der globalen Mehrheit, demokratischer Systeme, der Umwelt und Natur. Die aktuellen Programme der in Deutschland zur Bundestagswahl stehenden Parteien lassen die Konsequenzen diese Erkenntnis entweder vermissen oder es fehlt ihnen der Mut, sie programmatisch und in sich schlüssig zu formulieren.
Wir Freien Bäckerinnen und Bäcker wiederholen an dieser Stelle das schon oft von uns vorgetragene Zitat des Ökonomen E.F. Schuhmacher[iv]
„Wir brauchen eine Technologie mit menschlichen Zügen, die, statt Hände und Köpfe überflüssig zu machen, zur Dezentralisierung führt, mit den Gesetzen der Ökologie vereinbar ist und sorgsam mit knappen Rohstoffen umgeht. Eine Technologie, die dem Menschen dient, statt ihn zu unterjochen.“
Doch es geht nicht nur um ökologisch und sozial verträgliche Technologien, sondern wir brauchen tiefgehende Veränderungen. Eine friedvolle Kultur, eine demokratische Gesellschaft und die Ursachen aller Krisen aufgreifende Politik braucht unserer Ansicht nach eine Reform unserer Demokratie, die - statt zu weniger - zu mehr Fairness, Mitsprache, Teilhabe, Verantwortung und Selbstbestimmung der Einzelnen sowie der Gemeinschaft führt.
Wir Freien Bäckerinnen und Bäcker tragen als Verbund und mit unseren einzelnen Unternehmen dazu bei, dezentrale, demokratische und generationengerechte Wirtschaftsstrukturen, die - auch in Krisenzeiten - eine hohe Flexibilität und Stabilität aufweisen, zu erhalten und wieder aufbauen.
Unsere Forderungen, nicht nur zur Bundestagswahl, in eine kurze Form gebracht lauten:
- Wir brauchen eine Politik, die faire und existenzsichernde Einkommen durch ehrliche Arbeit und Leistung zum Ziel hat, statt Machtkonzentration durch Ressourcenverbrauch, Marktmacht und Machtmissbrauch - wie bei den globalen Tech-Giganten - hinzunehmen und zu fördern.
Einer der wichtigen Köpfe der Sozialen Marktwirtschaft, der Jurist Franz Böhm (1895–1977), betonte die Notwendigkeit, eine Ordnung des Leistungswettbewerbs gegen Gefährdungen durch private Macht und Kartelle zu verteidigen. Er bezeichnete den Wettbewerb als das „genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte“.
- Zu dieser „Ordnung des Leistungswettbewerbs“ gehört ein Markt, der - damit er funktioniert - zwingend soziale und ökologische Regeln braucht. Nicht nur das Handwerk braucht Rahmenbedingungen, die sicherstellen, dass Menschen ihre Fähigkeiten leben und Souveränität entwickeln können.
[i]BLE - Bundesinformationszentrum Landwirtschaft - BZL - Die wichtigsten Daten zur Mühlenstruktur der Wirtschaftsjahre 2023/24 und 2022/23
[ii]Zahlen rund ums Bäckerhandwerks - Bäckerhandwerk
[iii] Marktwirtschaft reparieren (S. 144), Oliver Richters, Andreas Siemoneit, oekom Verlag München 2019
[iv] E.F. Schumacher, Small is beautiful - Die Rückkehr zum menschlichen Maß
Link zum Demoaufruf: https://www.wir-haben-es-satt.de/