Offener Brief an foodwatch

Mitte Januar haben foodwatch und die Transparenz-Initiative FragDenStaat die Online-Plattform ‚Topf Secret‘ gestartet. Sie fordern über die Plattform Verbraucher*innen dazu auf, die Ergebnisse von Hygienekontrollen in Restaurants, Bäckereien und anderen Lebensmittelbetrieben abzufragen, um diese zu veröffentlichen. „Erst das schaffe den nötigen Anreiz für Lebensmittelbetriebe, sich jeden Tag an alle lebensmittelrechtlichen Vorgaben zu halten“, so Ihre schriftliche Erklärung.


Das Geheimnis der Töpfe

Sehr geehrter Herr Bode, sehr geehrter Herr Rücker, sehr geehrter Herr Semsrott!

Mitte Januar haben foodwatch und die Transparenz-Initiative FragDenStaat die Online-Plattform ‚Topf Secret‘ gestartet. Sie fordern über die Plattform Verbraucher*innen dazu auf, die Ergebnisse von Hygienekontrollen in Restaurants, Bäckereien und anderen Lebensmittelbetrieben abzufragen, um diese zu veröffentlichen. „Erst das schaffe den nötigen Anreiz für Lebensmittelbetriebe, sich jeden Tag an alle lebensmittelrechtlichen Vorgaben zu halten“, so Ihre schriftliche Erklärung.

Wir Bäcker*innen des Die Freien Bäcker e.V. teilen die Ansicht, dass ungesunde Ernährung der bedeutendste Risikofaktor für Krankheit und Sterblichkeit in Europa ist. Doch diese Risiken stehen nicht im Zusammenhang mit Bäcker*innen, Köchen und  Köchinnen oder Imbissbetreiber*innen, die mit Ihrer Kampagne an den Pranger gestellt werden.

Wie sieht die Realität in unseren Bäckereibetrieben, im gesamten Lebensmittelhandwerk oder in vielen anderen Arbeitsbereichen, wie etwa in der Landwirtschaft, den Mühlen, der Gastronomie oder auch in der Altenpflege und in den Krankenhäusern aus? Wir dokumentieren und dokumentieren und kommen durch das Übermaß an bürokratischen Pflichten, immer weniger dazu, uns um das zu kümmern, was uns wirklich nährt und was ein menschliches Miteinander braucht. Mit jeder neuen, zusätzlichen Nachweispflicht werden wir indirekt immer mehr zu unmündigen Bürger*innen erklärt, die angeblich nicht in der Lage sind, eigenständig und verantwortungsvoll zu arbeiten. Doch sind wir weder unzuverlässige, verantwortungslose Deppen noch sind zusätzliche „Anreize“ durch ‚Topf Secret‘ nötig, um uns „jeden Tag an alle lebensmittelrechtlichen Vorgaben zu halten“!                                             

Um an dieser Stelle kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die Freien Bäcker e.V. steht für die vollständige Transparenz bezüglich unserer Produktionsweise ein.

Wir schreiben das Jahr 2019 und unter den Augen der Öffentlichkeit werden wie im Mittelalter Schandpfähle aufgestellt, um scheinbar „Verurteilte“ bloßstellen und demütigen zu können.

Meinen diejenigen, die sich an ‚Topf Secret‘ beteiligen, dass sie neben den schon jetzt bestehenden Kontrollen durch: Lebensmittelüberwachung bzw. Veterinäramt, Berufsgenossenschaft, Amt für Statistik, Finanzamt, Bio-Kontrolle, Zoll, Arbeitsmedizinischem Dienst, privatwirtschaftlichen Kontrollstellen oder auch kleinen und großen BürgerInnen, denen wir in unseren Betrieben zeigen, wie im Handwerk Lebensmittel hergestellt werden - Ernährungssicherheit in die Welt zu bringen?            Wo sind wir hingekommen, dass scheinbar niemand mehr dem anderen traut? Überschaubare transparente Strukturen, in denen die Menschen einfach miteinander sprechen, sind dabei die beste Garantie, Vertrauen und Sicherheit aufzubauen. Doch diese werden mit ‚Topf Secret‘ grade nicht gefördert.

Ihre Initiative täuscht etwas vor, was sie nicht erfüllt! ‚Topf Secret‘ dient nicht dem Gemeinwohl und trägt nicht  zu Ernährungssicherheit bei. Im Gegenteil, Ihre Kampagne fördert eine gesellschaftliche Spaltung und Misstrauen!

Dass unser Ernährungssystem die menschliche Gesundheit auf verschiedenen Ebenen bedroht, liegt unzweifelhaft nicht an einem Hygienemangel in Küchen oder Backstuben. „Ungesunde Ernährung ist der wichtigste Risikofaktor für Krankheit und Sterblichkeit in Europa und betrifft ärmere Bevölkerungsgruppen am stärksten. […] Der Zugang zu gesunder und ausreichender Ernährung bleibt für Millionen unerreichbar. Heute ist einer von vier Europäern von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Im Jahr 2016 konnten sich 43 Millionen Menschen bzw. 9,1 % der EU-Bevölkerung keine hochwertige Mahlzeit jeden zweiten Tag leisten. Global gesehen leiden noch fast 800 Millionen Menschen an Hunger, während zwei Milliarden von einem Mikronährstoffmangel betroffen sind.“ [Zitat aus dem Bericht des International Panel of Experts on Sustainable Food Systems: http://www.ipes-food.org/_img/upload/files/CFP_ExecSummary_DE.pdf / erschienen am 8. Feb. 2019]

Grade um zu einer enkeltauglichen, gesundheitsförderlichen Produktion von Lebensmitteln und zu regionalen, krisenfesten (resilienten) Versorgungsstrukturen zu kommen, brauchen wir die Betriebe des Lebensmittelhandwerks – mehr als den meisten bewusst ist! Wenn die Handwerksbetriebe verschwinden, tischen uns in wenigen Jahren eine Handvoll großer Agrar- und Lebensmittelkonzerne zu 100% auf, was wir dann notgedrungen essen müssen.

Es ist unsere Wirtschaftsweise, die längst schon unsere Ernährungssicherheit gefährdet, da sie um jeden Preis auf Produktivitätssteigerung, Wachstum und sogenannte „Kostenführerschaft“ fixiert ist. Die auf einem Energie- und Ressourcenverbrauch basiert, der weit über dem liegt, was unser Planet verkraftet. Sie dient nicht dem Gemeinwohl und der Bedürfnisbefriedigung der jetzigen, geschweige denn der nachfolgenden Generationen sowie der Menschen in anderen Regionen der Welt. Wider besseres Wissen wird dies - nun auch mit Ihrer Kampagne - außer Acht gelassen.

Bäcker*innen, Köche und Köchinnen, Imbissbetreiber*innen, … wie auch Lebensmittelkontrolleure quasi „durchs Dorf zu treiben“, ohne das wirklich jemand unsere Arbeits- und Lebensrealität kennt, ist unfair und führt nicht zum dem von Ihnen erklärten Ziel! Wir sollten stattdessen gemeinsam daran arbeiten, unsere derzeitige Wirtschaftsweise zu verändern, die die Betriebe wie auch die Menschen, die im Handwerk, wie auch in der Landwirtschaft oder im Gesundheits- und Pflegebereich arbeiten, massiv unter Druck setzt.

Angesichts der tiefgreifenden Herausforderungen unserer Zeit, die nur in einem fairen und konstruktiven Umgang miteinander zu lösen sind, ist ‚Topf Secret‘ mehr als ein blamabler Irrläufer!

Wir fordern Sie deshalb auf, das Onlineportal zu schließen und stattdessen konstruktiv zum Wandel des Ernährungssystems beizutragen – hin zu echter Ernährungssicherheit, zu agrarökologischen  Strukturen und Ernährungssouveränität[i]!

Gerne stehen wir Ihnen für Gespräche, auch in unseren Betrieben, zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

 

Anke Kähler

Bäckermeisterin und Vorstandsvorsitzende

Die Freien Bäcker e.V.

Peter Plaumann

Dipl. Des. und Geschäftsführer

Die Freien Bäcker e.V.

 

Kontakt:

Die Freien Bäcker - Zeit für Verantwortung e.V.

Anke Kähler, Vorstandsvorsitzende / Bergstr.50 / 30890 Barsinghausen

T:  +49 (0)5105 520220 / Mail: info@die-freien-baecker.de

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[i] „Ernährungssouveränität ist das Recht der Völker auf gesunde und kulturell angepasste Nahrung, nachhaltig und unter Achtung der Umwelt hergestellt. Sie ist das Recht auf Schutz vor schädlicher Ernährung. Sie ist das Recht der Bevölkerung, ihre Ernährung und Landwirtschaft selbst zu bestimmen. Ernährungssouveränität stellt die Menschen, die Lebensmittel erzeugen, verteilen und konsumieren, ins Zentrum der Nahrungsmittelsysteme, nicht die Interessen der Märkte und der transnationalen Konzerne. Sie verteidigt das Wohlergehen kommender Generationen und bezieht sie ein in unser vorsorgendes Denken.“                                Zitat aus: ERKLÄRUNG VON NYÉLÉNI, 27. Februar 2007