Nachhaltig Rechnen statt Greenwashing - Die Zukunft der ökologisch-ökonomischen Betriebsführung
„Über Ökosystemleistungen wie Bestäubung, Klimaregulierung oder die Bereitstellung fruchtbarer Böden erbringt die Biodiversität weltweit einen jährlichen Wert in Höhe von 170 bis 190 Billionen US-Dollar. Doch durch den immer schneller fortschreitenden Rückgang der Biodiversität geht dieser Wert jedes Jahr um 6 bis 30 Billionen US-Dollar zurück."
Inhalt
- Wo stehen wir
- Unser ökologischer Fußabdruck
- Fehlentscheidungen verursachen hohe gesellschaftliche Kosten
- Leistungen für Gesellschaft, Ökologie und die Region honorieren
- Durch „Richtiges rechnen“ gezielt den Umbau der Land- und Lebensmittelwirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit voranbringen
- Potentiale der Regionalwert-Leistungsrechnung
Wo stehen wir
Allen, die im Sommer 2022 Felder und Wiesen wahrgenommen haben, blieben die Auswirkungen des Klimawandels nicht verborgen. Der Anstieg der TreibhausgasKonzentration sowie Hitze, Dürre, Wassermangelhinterlassen in der Landwirtschaft sichtbare und unsichtbare Folgen. Zu den für die Allgemeinheit meist nicht sichtbaren Folgen gehört auch, dass die Protein- und Nährstoffgehalte unserer Kulturpflanzen (z.B. bei Weizen) sinken. Dazu kommt, dass Klimawandel und intensive Landnutzung zum Verlust der Bodenfruchtbarkeit führen und somit ein Risiko für unsere Ernährungssicherheit darstellen.
Bild: Klimawandel und Landnutzung reduzieren die Biomasse der Bodentiere über unterschiedliche Pfade:
Das veränderte Klima reduziert die Körpergröße und die Bewirtschaftung die Häufigkeit. Quelle: © Lisa Vogel / UFZ (Grafik)
Unser ökologischer Fußabdruck
Seit dem Jahr 1970 verbraucht die Weltbevölkerung jedes Jahr mehr Biokapazität als die Ökosysteme dauerhaft bereitstellen können.i Als Weltbevölkerung bräuchten wir derzeit 1,75 Erden, um unseren aktuellen Lebensstil aufrecht zu erhalten. Wir sind somit alle[1] aufgefordert, unseren ökologischen Fußabdruck wirksam zu reduzieren - auch in Bezug auf unsere Ernährung.
Die ökologisch-bäuerliche Erzeugung ebenso wie die handwerkliche Herstellung von Lebensmitteln erfordert deutlich mehr menschliche Arbeitskraft als die agrarindustrielle Erzeugung und industrielle Herstellung. Zudem fällt beim ökologischen Anbau, bspw. von Getreide, der Ertrag pro Hektar in der Regel geringer aus als auf intensiv genutzten Flächen der konventionellen Landwirtschaft. Studien zeigen jedoch, wenn die wahren Kosten der Erzeugung und Herstellung betrachtet werden, sind ökologische Lebensmittel im Endeffekt günstiger sind als konventionelle. Klar ist: Leistungen zur Prävention zu bezahlen ist immer besser und günstiger als im Nachhinein zu versuchen, Schäden auszugleichen.
[1] Studien zeigen allerdings Unterschiede auf: Wer mehr verdient, lebt meist umweltschädlicher und hat somit mehr Potential, den individuellen ökologischen Fußabdruck zu verringern. Siehe: https://www.umweltbundesamt.de/themen/hoeherem-einkommen-steigt-dieumweltbelastung
Fehlentscheidungen verursachen hohe gesellschaftliche Kosten
Geprägt durch das Inflationsgeschehen und Verunsicherung, ist derzeit der Anstieg des Konsums vermeintlich „billiger“, oftmals nicht nachhaltiger Produkte und Lebensmittel, zu beobachten. Dieses Konsumverhalten erzeugt ein Paradox – nicht zuletzt zählt der Klimawandel mit seinen Folgen zu den Treibern der Destabilisierung von Lieferketten und der Inflation.
In sehr vielen Produkten und Lebensmitteln, durch alle Preiskategorien, steckem "unsichtbare“ Kosten, die wir als Bürger*innen – meist zeitlich versetzt – an anderer Stelle zahlen müssen. Dabei ließe sich die Entstehung dieser Kosten für die Gemeinschaft vermeiden. Müssten Nutzer*innen den Wert der klassischen Gemeingüter (Wasser, Luft, Vielfalt der Natur) und den so von ihnen generierten Gewinn vergüten, müsste die Allgemeinheit nicht für den Verbrauch bzw. die Schäden (z.B. für verunreinigtes Grundwasser) aufkommen.
Doch nach wie vor werden, durch unsere Art zu wirtschaften und zu leben, Kosten erzeugt, die am Ende individuell und gesamtgesellschaftlich getragen werden müssen. Schäden und damit Kosten entstehen beispielsweise in den Bereichen Gesundheit und Trinkwasseraufbereitung. Auch die wachsende Ernährungsunsicherheit zählt zu den Folgen. Risiken für die Sicherheit unserer Ernährung entstehen u.a. durch den Klimawandel sowie den Verlust an Artenvielfalt und, in dessen Folge, durch den Rückgang an Ökosystemleistungen.
Eine elementare Ökosystemleistung ist beispielsweise die Bestäubung von Nutzpflanzen durch Insekten. Zu den wichtigen Bestäubern zählen in Europa hauptsächlich Bienen und Schwebfliegen, Schmetterlinge, Motten sowie einige Käferarten und Wespen.[1] Insekten wie auch Bodenlebewesen sind in Europa sind von einem drastischen Rückgang betroffen. Dieser Rückgang wird u.a. verursacht durch die intensive Landwirtschaft, den Einsatz von Pestiziden und die Änderungen der Landnutzung (Versiegelung von Böden).
„Über Ökosystemleistungen wie Bestäubung, Klimaregulierung oder die Bereitstellung fruchtbarer Böden erbringt die Biodiversität weltweit einen jährlichen Wert in Höhe von 170 bis 190 Billionen US-Dollar. Doch durch den immer schneller fortschreitenden Rückgang der Biodiversität geht dieser Wert jedes Jahr um 6 bis 30 Billionen US-Dollar zurück.“[2]
[1]https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20191129STO67758/immerweniger-bienen-immer-weniger-bestauber-was-steckt-dahinter
[2] Studie des NABU und der Boston Consulting Group “The Biodiversity Imperative for Business”, Sept. 2020
Leistungen für Gesellschaft, Ökologie und die Region honorieren
Primär ist es Aufgabe der Politik, zeitnah durch die Schaffung von konsequenten Rahmenbedingungen und Anreizen, eine umfassend nachhaltige, klimagerechte und biodiversitätsverträgliche Wirtschaft zu gestalten.
Leistungen im Bereich der Land- und Lebensmittelwirtschaft, von Landwirt*innen sowie von Menschen in den nachgelagerten Betrieben der Lebensmittelherstellung, für die Gesellschaft, Ökologie und die Regionen müssen in Zukunft finanziell beziffert und honoriert werden.
Durch „Richtiges rechnen“ gezielt den Umbau der Land- und Lebensmittelwirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit voranbringen
Unter dem Arbeitstitel „Richtig rechnen in der Landwirtschaft“ hat die Regionalwert AG Freiburg in Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren aus Praxis, Gesellschaft und Wissenschaft eine Methode erarbeitet, mit der nachhaltiges Wirtschaften im Landwirtschaftsbetrieb erfasst und bewertet werden kann. An der partizipativen Erstellung der Erfassungs- und Bewertungsmatrix waren auch Landwirt*innen beteiligt.
Das Ergebnis ist ein Werkzeug mit dem Titel „Regionalwert-Leistungsrechnung“. Die Regionalwert Leistungen GmbH vertreibt dieses Werkzeug als Online-Tool. Mit der Regionalwert-Leistungsrechnung können die Leistungen von Landwirt*innen für Gesellschaft und Umwelt umfassend und fundiert bewertet werden.
Die ökologisch wirtschaftenden Bauern der GAW (Getreide Anbietergemeinschaft Wendhausen), die im Rahmen des GOSLOWKAL Projektes in der Region Hannover u.a. Getreide für die Hannoversche Bäckerei Buck’s Backparadies anbauen, leisten viel für Gesellschaft und Umwelt – eine wie zuvor beschriebene Leistung. Im Rahmen des GOSLOWKAL Projekts entschieden die Landwirte der BioBördeland GbR Anfang 2023, trotz ihres arbeits- und verantwortungsintensiven Alltags, die RegionalwertLeistungsrechnung für ihren Betrieb anzuwenden.
Die Regionalwert-Leistungsrechnung erscheint auf den ersten Blick eine echte Herausforderung – für 3 Themenfelder mit insgesamt 10 Kategorien und 49 Unterkategorien werden insgesamt ca. 300 individuelle Werte erhoben.
Bild: Übersicht der Themenfelder und Kategorien der Regionalwert-Leistungsrechnung Quelle: @ RegionalwertAG Freiburg
Potentiale der Regionalwert-Leistungsrechnung
Der Prozess bringt eine regelrechte Selbstreflektion des Betriebes mit sich. Landwirt Markus Blomberg berichtet, wie ihm und seinen Kollegen viele Dinge, die sie in Punkto Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Verantwortung tagtäglich umsetzen, quasi als regelrechtes „Aha-Erlebnis“ wieder bewusst wurden. Sie stehen mit ihrem Betrieb, nach der Durchführung der Berechnung, nun mit einem guten Gefühl über die erbrachten Leistungen da. Das Ergebnis wirkt sich positiv auf das Betriebsklima aus. Zudem haben Markus Blomberg und seine Kollegen Einblick gewonnen, in welchen Bereichen sich der Betrieb noch weiter verbessern kann und sie haben einige gänzlich neue Kennzahlen erfasst.
Hier das Ergebnis einer exemplarischen Auswertung:
Bild: Auszug einer exemplarischen Ergebnisübersicht der Regionalwert-Leistungsrechnung Quelle: @ RegionalwertAG Freiburg
Die BioBördeland GbR betreibt Ackerbau, Ackerfutterbau, Gemüsebau, Direktvermarktung & Handel. Das Ergebnis der Berechnung der Nachhaltigkeitsleistungen weist insgesamt, bei einem Nachhaltigkeitsgrad von 72%, Leistungen des Betriebes in Höhe von 325.194 € für das Jahr 2022 aus. Unter dem Aspekt „Soziales“ bescheinigt die Auswertung den Bauern der BioBördeland GmbH fundiertes und umfangreiches Fachwissen, der Betrieb erreicht hier 92%. Dies ist sicherlich mit ein Grund dafür, dass die BioBördeland 2022 in den ökologischen Kategorien „Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität, Klima und Wasser“ gesellschaftliche Leistungen im Wert von knapp 200.000 € erbringen konnte.
Außer dass die detaillierte Analyse die Verantwortlichen und Mitarbeitenden des Betriebes beflügelt, kann sie noch mehr leisten - sofern die entsprechenden Strukturen und politischen Maßnahmen dazu geschaffen werden.
Als Beispiel - der Betrieb hat in der Kategorie „Bodenfruchtbarkeit“ eine monetäre Leistungsbewertung von 93.668 € für 2022 erreicht. Auch wenn sich der Wert sicher nicht eins zu eins umrechnen lässt, reden wir hier von einer konkreten Wertsteigerung des Anlagevermögens Boden. In Form leistungsstärkerer Böden, die in den kommenden Jahren eine zuverlässige Basis für die Erzeugung hochwertiger Lebensmittel darstellen, entsteht ein Mehrwert für die Versorgungssicherheit der Gesellschaft.
Visionär gedacht könnte dieser Wert bspw. im Jahresabschluss 2029 so dargestellt werden:
Bild: Unternehmensbilanz erweitert um sozial-ökologisches Vermögen Quelle: @ RegionalwertAG Freiburg
Es wird schnell erkenntlich, dass eine nachhaltige Wirtschaftsweise Werkzeuge wie die Regionalwert-Leistungsrechnung braucht. Nur dann lassen sich in Zukunft die Leistungen für Umwelt und Gesellschaft - wie in dem Projekt GOSLOWKAL in der Region Hannover - umfassend bewerten.
Als Atelier Ernährungswende² halten wir das Potential der Regionalwert-Leistungsrechnung für immens und möchten diese noch nicht weit verbreitete Methodik nach vorne bringen. Dazu planen wir, in Kooperation mit der Regionalwert Impuls GmbH, eine Weiterentwicklung der Regionalwert-Leistungsrechnung über die gesamte Wertschöpfungskette Brot & Backwaren zu erarbeiten und weitere Möglichkeiten zur Nutzung dieses Werkzeugs auf den Weg bringen.
Die Berechnung der Leistungen der BioBördeland GbR für die Umwelt und Gesellschaft belegt exemplarisch für alle an GOSLOWKAL beteiligten landwirtschaftlichen Betriebe, dass die mit dem Projekt angestrebten Ziele erreicht werden.
Letztendlich, dies muss hier deutlich hervorgehoben werden, machen es in Hannover die Bäckerei Buck‘s Backparadies sowie die Backwerk Bio-Handwerksbäckerei, die bereits seit über 20 Jahren ökologisch erzeugtes Getreide aus der Region verarbeitet, möglich, dass Flächen wie die der BioBördeland, ressourcen- und klimaschonend bewirtschaften werden können. Familie Buck und ihre Mitarbeitenden hatten 2022/23 den Mut, trotz wirtschaftlich schwieriger Zeiten, den gesamten Rohstoffstoffeinkauf auf den Bezug ökologisch erzeugter Rohstoffe und zudem auf Getreide und mehr aus der Region Hannover umzustellen.
Voraussetzung dafür war, dass ebenso Anke Dege, die Inhaberin und Müllermeisterin der Getreidemühle Sack in Langelsheim, als Lieferantin der Bäckerei Buck bereit war, den erhöhten Zeit- und Arbeitsaufwand auf sich zu nehmen um einen Teil der jährlichen Vermahlungskapazität der Mühle auf die Herstellung von Mehl aus regional und ökologisch erzeugtem Getreide umzustellen.
Um mehr Getreide und Saaten in der Region Hannover ressourcen- und klimaschonend anzubauen und daraus „Klimaschutz-Brote“ und Brötchen backen zu können, braucht es die entsprechende Nachfrage. Sowie … politisch Verantwortliche und weitere Bäckereien, die Verantwortung für die Zukunft unserer Ernährung übernehmen.