Mit der ‚short distance economy‘ durch die Krise in die Zukunft

„Brot und Rosen“, der begriffliche Zusammenhang bzw. das Motto, das 1912 beim Streik von Frauen mit Migrationshintergrund in den USA für gerechten Lohn (Brot) und eine menschenwürdige Arbeits- und Lebensumgebung (Rosen), geprägt wurde, ist vielleicht bekannt. Doch heraus zu finden, in welchem Zusammenhang „Brot und Steine“ stehen, überlassen wir mit dem folgenden Beitrag unseren Lesern und Leserinnen.

Vorwort: Anke Kähler DIE FREIEN BÄCKER e.V.


Gast-Blogbeitrag von Timothy C. Vincent - Steinmetz/Steinbildhauer, Vorstand Handwerk mit Verantwortung e.V.

 

Wenn ein Mensch stirbt, kommt, je nachdem welche Grabstelle gewählt wurde, die Frage auch nach dem Grabstein. Der Grabstein soll dann die Stelle bezeichnen, an dem ein Mensch begraben liegt. Er trägt den Namen und die Daten, mitunter ein persönliches Ornament.

Der Kauf eines Grabmals unterscheidet sich von dem von Unterhemden…

… allerdings nur für die Hinterbliebenen. Der Großteil der in Deutschland auf den Friedhöfen aufgestellten Grabsteine wird vom Steinmetz bei Grabmalhändlern gekauft, deren Lieferkette sich nicht von der von Unterhemden unterscheidet.

Die meisten Grabmale werden in Indien oder China gefertigt, per Containerschiff nach z.B. Rotterdam gefahren und von dort an die Zwischenhändler weiterverkauft, die dann von den Steinmetzen erworben werden. Selbst Steine aus Europa gelangen zur Bearbeitung auf dem Seeweg nach Fernost und werden reimportiert. Welche Abhängigkeiten diese Kette für die hiesigen Steinmetze mit sich bringt, offenbart sich wie in vielen anderen Bereichen jetzt auch für den Steinmetz. Nachschub gibt es voraussichtlich erst wieder im Herbst 2020. Bis dahin wird es eng. Mittlerweile gehen Importeure in ihrer Not den Weg, dass sie sich mit deutschen Herstellern zusammenschließen, um Grabmale aus Lagermaterialien herzustellen und zu liefern. Es ist fraglich, ob der Preis gleich bleibt.

Deutschland, Europa haben eine lange Natursteintradition. Diese lässt sich auch auf den Friedhöfen entdecken, wenn dort noch Grabsteine aus den 60er, 70er Jahren oder älter stehen oder Steinmetze mit dem Sinn für kurze Wege, traditionelle Bearbeitungen oder individuelle Gestaltungen ihre Arbeiten dort haben aufstellen können. Dann erkennt das geschulte Auge Steine aus Schweden, Frankreich, Spanien, Bayern, Baden-Würtemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Österreich, der Schweiz und, last but not least, Italien. Viele dieser Steine sind aus der Mode gekommen und die günstigen Preise der Importsteine haben mittlerweile den Markt erobert.

„Billigimporte“ untergraben handwerkliche Kerntätigkeiten

Selbst die Kerntätigkeit von Steinmetzen, die Arbeit am Stein, wird durch den Import untergraben. Denn z.B. dem möglichen Wunsch nach Grabmalrecycling, also dem Umarbeiten von abgeräumten Steinen, begegnet der Steinmetz mit dem Argument, dass es zu teuer wäre und sich nicht lohne und ein „neuer“ Stein günstiger wäre. Dieses Argument zieht nur im Spiegel von „Billigimporten“.

Die Steinmetze, die nachhaltig wirtschaften, arbeiten in ihrer Region, haben über die Zeit Vertrauensstrukturen zu ihren Lieferanten und den Steinbrüchen aufgebaut und wissen, wo sie ihre Steine herbekommen und unter welchen Bedingungen diese gebrochen und weiterverarbeitet werden. Oftmals arbeiten sie handwerklich, d.h. sie wenden noch handwerkliche Kerntätigkeiten an, die sie steinartspezifisch einsetzen. Sie kennen die Eigenarten ihrer Natursteine, denn Sedimente lassen sich anders verarbeiten als Granit oder Marmor. Dadurch, dass sie meist Grabmale nach individuellen Entwürfen arbeiten, sind die Gestaltungsgespräche mit den Kunden keine reinen Verkaufsgespräche. Es kommen hier vielfältigste Themen rund um den Verstorbenen wie auch des zu verwendenden Materials sowie den Möglichkeiten der Ausführung zur Sprache.

Nachhaltigkeit ist eine bewusste Entscheidung

Das Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk wie auch viele weitere Gewerke, die noch handwerklich arbeiten, die nach „menschlichem Maß“ wirtschaften, verlieren weder ihre Mitarbeiter noch ihre Kunden aus den Augen. Sie vergessen nicht, wo sie arbeiten und verkaufen Waren, Produkte und Dienstleistungen, die mehr sind als einfach nur Konsumgüter. Nachhaltigkeit ist hier kein Zufall, sondern eine bewusste Entscheidung nicht nur für die Zukunft des Betriebes, sondern auch für die Zukunft nachfolgender Generationen. Die regionale Versorgung mit handwerklichen Dienstleistungen und Produkten, die Kooperation der einzelnen gleichen wie auch verschieden Gewerke unter- und miteinander ist die Basis der ‚short distance economy‘, der Wirtschaft der kurzen Wege und führt, wie uns die Krise gerade vor Augen führt, zur betrieblichen Widerstandsfähigkeit.