Interview für HEUTE.DE

Leider ist dieses Interview nur in einer gekürzten Fassung veröffentlicht worden! Zu lang, zu kritisch oder ....?.

Also, bei uns darf es auch mal ausführlich sein!

 

Ganz unten der Link zur ZDF heute Veröffentlichung

 


Stichpunkt Inhaltsstoffe und Knowhow: Was macht ein echtes Handwerksbrot und damit einen Handwerksbäcker aus? 

Mit der Frage, was heutzutage eine echte Handwerksbäckerei ausmacht, haben wir uns in der Berufsorganisation ‚Die Freien Bäcker e.V.‘, intensiv auseinander gesetzt. Die handwerkliche Herstellung von Brot und Gebäck beschreiben wir so:

In einem Handwerksbetrieb arbeiten wir Bäcker*innen tatsächlich vorrangig mit unseren Händen und all unseren Sinnen. Und, wir geben den Prozessen - nach dem Motto ‚Gut Brot will Weile haben!‘ - die Zeit die sie brauchen. Maschinen erleichtern heutzutage selbstverständlich auch in einem Handwerksbetrieb die körperliche Tätigkeit und unterstützen die Handfertigkeiten. Doch dabei ist der Werkzeugcharakter der eingesetzten Maschinen ganz entscheidend. Die Grenze zwischen handwerklicher und industrieller Produktionsweise ist da erreicht, wo die ‚Prinzipien des Handwerks‘ durch den Einsatz von Technik verdrängt bzw. ins Gegenteil verkehrt werden. Von ‚Werkzeugcharakter‘  kann bei der Herstellung von Brot und Gebäck nicht mehr gesprochen werden, sobald uns die Maschine zwingt, die Beschaffenheit des Getreides und der Mahlerzeugnisse an die Technik anzupassen. Das Prinzip ‚Handwerk‘ beinhaltet, die Herstellungsverfahren mit wirklich viel Know-how an den - im besten Fall agrarökologisch erzeugten - Rohstoffen auszurichten. Auch im Hinblick auf die ökologischen, ökonomischen und sozialen Bedingungen der gesamten Wertschöpfungskette macht dies einen großen Unterschied aus. Dazu kommen wir sicher noch.

Handwerk - in unserem und dem ursprünglichen Sinn - lässt sich mit einem Jahrhunderte alten Ehrenkodex in Verbindung bringen. Die sogenannte ‚Ehrbarkeit des Handwerks‘ heißt für uns, Arbeit als schöpferische, sinnstiftende Kulturtechnik zu leben und uns dem Gemeinwohl und einer sozialen und fairen Unternehmenskultur zu verpflichten. Sinnstiftend tätig zu sein bedeutet, über unsere umfassend qualitätsorientierte, handwerkliche Arbeit Selbstbewusstsein und Selbstwert entwickeln zu können. Und genau das, wollen wir uns von industriellen Vorlieferanten und die industrielle Backwarenherstellung nicht nehmen lassen.

Was unterscheidet ein Handwerksbrot von industriell gefertigten Backwaren? 

Es ist in der Tat ein entscheidender Unterschied mit welchem Motiv und wie Brote oder Brötchen hergestellt werden. Ob handwerklich mit viel Wissen, handwerklichem Gespür, unbehandeltem Mehl und mit viel Zeit für die natürlichen Reifeprozesse oder quasi ‚ruck zuck‘ mit Hilfe industrieller Prozesstechnik. Handwerkliche Herstellung - in unserem Sinne - bedeutet, weder Backmischungen noch industriell vorgefertigte Teiglinge oder Zusatzstoffe einzusetzen. Eine Vielzahl der Zusatzstoffe hat die Funktion, die Herstellungsprozesse deutlich zu vereinfachen, zeitlich zu verkürzen und die Gebäckeigenschaften zu verändern. Zu ihnen zählen beispielsweise Emulgatoren oder exogene Enzyme, die nicht deklariert werden müssen und oftmals aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen gewonnen werden. KundInnen erwarten zu Recht, dass ein gutes Handwerksbrot aus Getreide, Wasser, Sauerteig und Salz besteht!

Warum haben Sie, gemeinsam mit anderen Handwerkern, ‚Die Freien Bäcker e.V.‘ gegründet? Warum ist Ihnen der Erhalt des Handwerks ein so wichtiges Anliegen?

Einerseits haben wir uns als handwerklich arbeitende Bäcker und Bäckerinnen vom offiziellen Berufsverband nicht vertreten gefühlt. Andererseits sind wir sicher, dass unser Beruf eine Zukunft hat, wenn wir bestimmte gesellschaftliche Funktionen erfüllen und dies immer wieder deutlich machen.

Als Organisation setzen wir uns für den Erhalt des Handwerks und unserer Wertschätzungsketten - insbesondere vor dem Hintergrund drängender gesellschaftlicher Fragen - ein. Wir sind uns sicher, die Zukunft Europas braucht das Handwerk mehr denn je. Unsere Produktionsweise steht unmittelbar im Zusammenhang mit der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen wie der Klimakrise, der Abwanderung der Bevölkerung aus dem ländlichen Raum, der Verdrängung bäuerlicher Landwirtschaft bis hin zu speziellen Themen wie dem Grundwasserschutz durch reduzierte Stickstoffdüngung. Es geht uns darum, unser Handwerk ‚enkeltauglich‘ zu betreiben. ‚Enkeltauglich‘ bedeutet unter anderem, mit unseren Betrieben in regionalen Wertschätzungsketten zu einem ökologisch und sozial gerechten Wandel der Land- und Lebensmittelwirtschaft beitragen zu können.

Als HandwerkerInnen verfolgen wir in erster Linie das Ziel, unseren Lebensunterhalt frei und selbstbestimmt zu erwirtschaften. Die Grundlage hierfür liegt in unserem persönlichen Wissen und Können, das wir über lange Jahre erwerben. Durch Nähe und Verantwortung geprägt, ist Handwerk strukturell nachhaltig und der Region sowie deren Geschichte und Kultur verbunden. Damit liegen Handwerksbetriebe quer. Quer zu einer Wirtschaftsweise, die auf Kapitalkonzentration, Monopolisierung und in der Konsequenz auf einen Absolutheitsanspruch abzielt. Für diese Konzentrationsprozesse gibt es genug warnende Beispiele. Etwa der Handel mit Lebensmitteln, 62 Prozent der Lebensmittel werden in Deutschland von nur vier Konzernen gehandelt, oder der weltweite kommerzielle Saatgutmarkt, bei dem über 60 Prozent in der Hand von drei Konzernen liegt.

Stichpunkt Tragweite, Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt (gerne aber auch Tradition; jedoch nicht aus folkloristischen Gründen): Warum sollte das Bäckerei-Handwerk erhalten werden? 

Um das anschaulich zu machen, möchte ich skizzieren, was es konkret bedeutet handwerklich und verantwortungsvoll zu arbeiten. Viele unserer Mitglieder haben Betriebe im ländlichen Raum und beziehen ihr Getreide direkt vom Bauern oder von einer Erzeugergemeinschaft aus der Region. Dabei wird mit den Erzeugern abgestimmt, was abgenommen wird und welcher Preis für Getreide, Milch, Eier oder andere Rohstoffe erzielt werden muss, um auch in der Zukunft nachhaltig wirtschaften zu können und bestimmte Gemeinwohlleistungen (Verzicht auf Pestizide, Humusaufbau, Erhalt biologischer Vielfalt auf dem Acker, bienenfreundliche Landwirtschaft, Grundwasserschutz, …) zu erbringen. Wichtig für uns alle sind langfristige und verlässliche Lieferbeziehung zu Erzeugern und/oder Mühlen.

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass es inzwischen kein flächendeckendes Netz an regionalen Mühlen mehr gibt. Im Jahr 2019 ist die Zahl auf unter 200 gesunken. Das Verschwinden der Mühlen gehört eindeutig auch zu den negativen Folgen der wachstumsorientierten Industrialisierung der Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion. Ihr scheinbar wirtschaftlicher Erfolg basiert auf der Auslagerung (Externalisierung) sozialer und ökologischer Kosten. Dies trägt direkt und indirekt dazu bei, dass bäuerliche Betriebe, kleine Schlachthöfe, Molkereien, regionale Mühlen wie auch Metzgereien oder Bäckereien verschwinden. Eben die Betriebe und regionalen Wertschätzungsketten, die maßgeblich zu lebendigen Strukturen im ländlichen Raum oder in Stadtteilen und zu regionaler Ernährungssouveränität beitragen.

Ein ganz wesentlicher Punkt fehlt noch. Die Verarbeitungsqualität von umfassend nachhaltig erzeugtem Getreide ist eine andere als die von Getreide aus der konventionellen Erzeugung, bei der auf synthetische Düngemittel und die Steigerung des Ertrags und des Proteingehalts gesetzt wird. Wird dann noch die Behandlung von Mehl mit Ascorbinsäure und exogenen Enzymen ausgeschlossen, wie es die Grundregeln für die handwerkliche Herstellung des Die Freien Bäcker e.V. vorgeben, braucht die Bäcker*innen viel Know-how und Zeit um mit den schwankenden Verarbeitungseigenschaften regionaler Getreidepartien umgehen zu können.

Stichpunkt verzerrter Wettbewerb: Welche Kosten zahlt der Verbraucher für das Brot vom Handwerker bzw. der Industrie (von denen der Endverbraucher an der Discounter - Kasse zunächst nichts „spürt“)? 

Zwischen einem Industriebrot aus konventionell erzeugten Weizen und einem Brot, hergestellt von einem lokalen Handwerksbetrieb aus regionalem und im besten Fall ökologisch angebautem, anpassungsfähigen und robusten Weizen gibt es große Unterschiede. In dem klassischen Industriebrot stecken sogenannte externalisierten Kosten, die am Regal nicht aufgelistet werden. Diese Kosten, vom Produzenten verursacht, werden in der Regel unbemerkt von uns allen und vor allem zukünftig von unseren Kindern getragen. Externalisierte Kosten entstehen durch die Auswirkungen der Rohstofferzeugung, des Transports und der Herstellung unserer Lebensmittel auf unser Klima, den Boden, das Wasser, die Biodiversität, den sozialen Zusammenhalt und unsere Gesundheit. Zu kritisieren ist, dass diese Handlungsweise - Kosten nicht einzurechnen - aktuell von unserem Wirtschafts- und Finanzsystem auch noch belohnt wird.

Zurück zu dem Beispiel. Ein großer Kostenfaktor sind die Treibhausgasemissionen, die etwa als Folge intensiver Düngung und Bodenbearbeitung beim Anbau von konventionellem Weizens entstehen. Dagegen erbringen Anbauverfahren, die dazu führen, dass durch den Aufbau von Humus Kohlendioxid im Boden gebunden wird, eine gesellschaftliche Leistung. Es ließen sich noch zahlreiche Kosten auflisten, doch wichtig anzumerken ist ein Umstand, an den wir beim Kauf von Brot wohl selten denken. Wenn wir bewusst Lebensmittel einkaufen, die regional und „enkeltauglich“ erzeugt und hergestellt wurden, lassen sich lebendige, verlässliche Strukturen im ländlichen Raum oder Stadtteil erhalten. Das ist ein Mehrwert, für unsere Gesellschaft.

Viele Bäckereien können diesem Preiskampf nicht standhalten und müssen schließen. Lässt sich dieser Trend aufhalten? Was müsste dafür geschehen, Umdenken beim Kunden oder in der Politik? Sind Sie in der Hinsicht optimistisch? 

Nach wie vor schalten täglich ein bis zwei Bäckereien ihre Öfen für immer aus. Doch es gibt auch positive Entwicklungen. Dazu zählen junge, engagierte Menschen, die das Lebensmittelhandwerk für sich entdecken. Dazu gehören Quereinsteiger oder der Nachwuchs von Bäckern, die neue, überschaubare und transparente Betriebskonzepte mit einem hohen Anspruch an die handwerkliche und nachhaltige Qualität ihrer Produkte entwickeln.

Insgesamt steht das Handwerk jedoch unter einem enormen Druck. Trotz des seit Jahrzehnten angekündigten Bürokratieabbaus seitens der Politik, nimmt der Standardisierungs- und Regulierungswahn weiter zu. Immer neue Verordnungen kommen, oft unter dem Vorwand des Verbraucher- oder Umweltschutzes, dazu. Zeit- und kostenintensive Dokumentations- und Kontrollpflichten, an deren Sinnhaftigkeit oft zu zweifeln ist, greifen tief in unseren Arbeitsalltag sowie in den von Bäuerinnen, Bauern und anderen HandwerkerInnen ein. Für kleinste und kleine Betriebe ist der prozentual hohe Anteil an bürokratischen Aufgaben in der Praxis nicht zu bewältigen. Auch das veranlasst Betriebe aufzugeben und führt dazu, dass sich junge Menschen diesen Irrsinn nicht antun möchten. ProduzentInnen, die von der Planung bis zur Ausführung ihr Handwerk gelernt haben und es persönlich verantworten wollen und können, wird die Eigenverantwortung damit abgesprochen.

Darüber hinaus belasten zwei weitere Fakten das Handwerk. Durch unangemessene Förderungen industrieller Großbetriebe entstehen eindeutig Wettbewerbsnachteile für unser Handwerk. Und, nicht zuletzt, wird das arbeitsintensive Handwerk steuerlich unverhältnismäßig stark belastet. In den letzten Jahrzehnten hat der Anteil an Steuern und Abgaben, der auf dem Faktor Arbeit liegt, am stärksten zugenommen. Dieser Anteil an Staatseinnahmen ist von 49 % im Jahr 1960 auf nunmehr knapp 65 % angestiegen.

Bei der Herstellung von Brot, das uns alle nährt, geht es tatsächlich ums Ganze.  Der Erhalt von Handwerksbäckereien im beschriebenen Sinn ist unmittelbar verbunden mit dem Erhalt und der Erneuerung regionaler, nachhaltiger und resilienter Versorgungsstrukturen auf dem Land und in der Stadt. Nicht aus folkloristischen Motiven sondern aus Gründen der Daseinsvorsorge, der Sicherung des sozialen Friedens und demokratischer Strukturen, muss ein Umdenken, verbunden mit konkretem Handeln, erfolgen. An erster Stelle steht da die Politik in der Verantwortung, dennder Markt braucht Regeln, sonst schafft er sich selber ab! Dazu zählt eine sozialökologische Steuerform, die dazu führt, dass Preise die ökologische und soziale Wahrheit sagen und Arbeit entlastet wird.

Ich bin optimistischer als vor 40 Jahren. Dass unsere derzeitige Wirtschaftsweise und unser privates Konsumverhalten - in Anbetracht der Folgen des Klimawandels, des Verlustes an biologischer Vielfalt und weiterer planetarer Grenzüberschreitungen - so nicht fortzuführen sind, sehen immer mehr Menschen. Und, um aufs Brot zurück zu kommen, immer mehr Menschen fragen nach wirklich gutem Brot!

 

 


Bäcker zwischen Tradition und Massenware

https://www.zdf.de/nachrichten/heute/baecker-zwischen-tradition-und-massenware-100.html