Die Freien Bäcker e.V. bei der SLOW FOOD YOUTH AKADEMIE
Mitte Juli war Anke Kähler, Bäckermeisterin und Vorstandsvorsitzende des Die Freien Bäcker e.V., als Referentin bei der Slow Food Youth (SFY) Akademie zu Gast. Unter dem Titel ‚Ernährungssouveränität – nicht ohne handwerkliche Lebensmittelhersteller*innen!‘ trugen die engagierten Teilnehmer*innen der SFY Akademie im zweiten Teil des Workshops zusammen, was dazu gehört, das Konzept der Ernährungssouveränität zu verwirklichen.
Hier einige Fragen, die Anke Kähler im Nachgang zu dem Workshop gestellt wurden. Zu Beginn berichtete sie über die aktuelle Situation im Bäckerhandwerk.
Wie stellt sich aktuell die Situation im Backhandwerk dar?
Nach wie vor findet im Bäckerhandwerk ein struktureller Wandel statt. Das bedeutet insbesondere kleine und mittlere Betriebe schließen. Dagegen steigt die Anzahl an Betrieben mit mehr als 10 Mio. Euro Umsatz ebenso wie deren Marktanteil. In Deutschland erzielen knapp 3 Prozent aller backenden Unternehmen fast 60 Prozent des Gesamtumsatzes. Das bedeutet konkret, in vielen Regionen und Stadtteilen verschwinden lokale Bäckereien und damit handwerkliches Know-how. Doch genau dies wird gebraucht, um regionale Strukturen der Lebensmittelversorgung aufrecht zu erhalten oder neu aufzubauen.
Zudem ist das Bäckerhandwerk mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert: mit einem extremen Mangel an Mitarbeiter*innen und Betriebsnachfolger*innen sowie einem Übermaß an bürokratischen, unzweckmäßigen Reglementierungen. Ein Sachverhalt trägt jedoch noch stärker zum Rückgang handwerklich arbeitender Betriebe und damit zur Schwächung regionaler Strukturen im Bereich der Land- und Lebensmittelwirtschaft bei. Die Belastung des Faktors Arbeit, bei dem Deutschland auch laut einer OECD Studie weltweit zu den Spitzenreitern unter den Industrieländern gehört. Grade die zahlreichen positiven gesellschaftlichen Funktionen des Handwerks - etwa der Erhalt sinnstiftender Arbeitsplätze oder der Beitrag zur Rekonstruierung resilienter, regionaler Versorgungsstrukturen - verlangen aber danach, Arbeit (Sozialabgaben und Steuern) finanziell zu entlasten und die staatliche Finanzierung auf Kapitalabgaben und Öko-Steuern umzuschichten.
Dennoch - diesen schlechten Bedingungen und dem Muff der alten Handwerksstrukturen zum Trotz, beweisen seit einigen Jahren junge Handwerker*innen und Quereinsteiger*innen sowie mutige, sich wandelnde alteingesessene Betriebe, dass kleinere, lokale Bäckereien sehr erfolgreich sein können. Zu ihren Konzepten gehören vor allem: das unerlässlich umfassende Können und Wissen einer handwerklichen Herstellungsweise ohne industrielle Inputs sowie Transparenz und Fairness entlang regionaler Wertschöpfungsketten.
Machen sich alle Bäcker*innen Gedanken über den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit oder der Biodiversität?
Nach wie vor wird leider nur von einem geringen Anteil der Bäckereien der ökologische Fußabdruck der eingekauften Rohstoffe berücksichtigt. Zu einem negativen ökologischen „Fußabdruck“ gehören unter anderem der Abbau der Bodenfruchtbarkeit oder der Rückgang der biologischen Vielfalt.
Aktuell stellen viele Bauern und Bäuerinnen ihre Höfe von der sogenannten konventionellen auf eine ökologischere Landwirtschaft um - unter anderem durch den Druck der Zivilgesellschaft. Da zusammen mit den landwirtschaftlichen Betrieben zu wenige Bäckereien, Metzgereien und andere Lebensmittelhersteller „umstellen“, entwickelt sich eine fatale Situation. Der Markt für ökologisch erzeugte Rohstoffe kann schnell ins Ungleichgewicht geraten. Wenn wir als Lebensmittelhersteller*innen sowie als Verbraucher*innen nicht mitziehen, wächst die Gefahr, dass am Ende noch mehr bäuerliche Betriebe wirtschaftlich zur Aufgabe gezwungen sind. Die Zivilgesellschaft fordert einen Wandel in der Landwirtschaft, doch die Bauern und Bäuerinnen werden quasi im Regen stehen gelassen - wenn nicht gleichzeitig dafür gesorgt wird, dass die ökologisch erzeugten Agrarrohstoffe zu fairen Bedingungen von den nächsten Stufen der Wettschöpfungsketten sowie von den Konsument*innen nachgefragt werden.
Was unterscheidet Handwerksbäcker*innen von Industriebäcker*innen?
Handwerklich - im umfangreichen Sinne des Die Freien Bäcker e.V. - arbeitende BäckerInnen, sind in der Lage, souverän und unabhängig enkeltauglich erzeugte, unbehandelte Rohstoffe aus der Region zu verarbeiten und daraus Lebensmittel zur Versorgung von Stadtteilen und Dörfern der Region herzustellen. Sie sind also in der Lage, zu einer sozial und ökologisch gerechten Umgestaltung des Agrar- und Ernährungssystems beizutragen, bei der Bauern und Bäuerinnen, handwerkliche Lebensmittelhersteller*innen und Verbraucher*innen im Zentrum der Entscheidungen stehen.
Was gehört dazu, dieses handwerkliche Know-how und regionale Wertschätzungsketten zu erhalten?
Zu den Voraussetzungen gehört eine qualifizierte, fundierte Ausbildung, die im Bereich der Bäckerei alle Aspekte - von der Saatgutentwicklung bis zum fertigen Brot - berücksichtigt. Zum Erhalt regionaler Wertschöpfungs- bzw. Wertschätzungsketten gehört auf jeden Fall, die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Wie schon gesagt, die von Menschen in der Landwirtschaft und bei der Lebensmittelherstellung geleistete Arbeit steuerlich zu entlasten.
Nicht zuletzt ermöglicht die faire und transparente Zusammenarbeit und Entlohnung entlang regionaler Wertschöpfungsketten die Existenz ihrer Akteure. Doch dazu gehört, die Akzeptanz von Lebensmitteln, die fair sowie klima- und ressourcenschonend erzeugt und hergestellt werden, durch eine breit angelegte Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit zu verbessern. An dieser Stelle leistet die Slow Food Youth Akademie einen wichtigen, zukunftsweisenden Beitrag! Das Konzept der SFY Akademie sollte auf allen Stufen der Bildung - vom Kindergarten bis zur beruflichen Weiterbildung - umgesetzt werden.
Das konkrete Tun zählt?
Auf jeden Fall, deshalb möchte ich eine Aufforderung aussprechen: Lernt ein Handwerk, gründet viele regionale Betriebe und Höfe, vernetzt euch, schaut über den Tellerrand und bleibt politisch aktiv! Ernährungssouveränität - also eine agrarökologische Wirtschaftsweise, die Mensch und Natur in den Mittelpunkt stellt, die auf Kooperation, Gemeinwohlorientierung und weltweiter Solidarität basiert - können wir nur gemeinsam in die Praxis bringen und verwirklichen.